Common Ground
Was genau ist eigentlich der Balkankrieg? Ich persönlich hatte so gut wie überhaupt keine Ahnung, worum es dabei ging, wer wen bekämpft hat und wieso. Nach dem Stück “Common Ground” von Yael Ronen im Maxim-Gorki-Theater Berlin wusste ich aber eines mit Gewissheit: Es ist verdammt kompliziert.
unfassbar schwarzer Humor und Sarkasmus
In dem Stück wird nämlich genau
dieser Krieg thematisiert und mithilfe der sechs Schauspieler*innen
Vernesa Berbo, Dejan
Bućin,
Tim Porath, Mateja Meded, Orit Nahmias, Aleksandar Radenković und
Jasmina Musić werden autobiografische und politische Inhalte
zusammengeführt. Was nach einem sehr schweren Thema klingt, ist zwar
auch ein schweres Thema, wird jedoch durch unfassbar schwarzen Humor
und Sarkasmus immer wieder in luftige Höhen gerissen.
Das
Stück beginnt recht unvermittelt, als die Isrealin Orit Nahmias sich
vorstellt und locker ein bisschen zum Publikum redet, bis Tim Porath
die Bühne betrifft und die englischsprechende Orit in ihrem
Redefluss stoppt. Er weist sie darauf hin, dass es sich beim Gorki um
ein postmigrantisches
Theater handelt und deshalb das deutschsprachige Publikum das Recht
auf eine deutschsprachige Inszenierung habe. Postwedend gibt Orit Tim
die Aufgabe des Übersetzens. Diese Aufgabe nutzt Tim jedoch, um sein
eigenes Anliegen weiter fortzuführen und schließlich anzumerken
dass Menschen ihre Probleme gerne auf andere Menschen projizierten
und ihnen ihre eigene Interpretation aufdrückten. Welch ein
wunderschön sarkasitsches Paradox zu Beginn!
Freude, Trauer, Leichtigkeit und Betroffenheit
Es
folgten vermischte Episoden aus den jeweiligen Leben der
Schauspieler*innen und zeitgeschichtlichen Geschehnissen in den
frühen 90er Jahren, sei es der Völkermord in Ruanda, Steffi Grafs
Wimbledon Sieg oder Bryan Adams neuester Song “(Everything I Do) I
Do it for You”. Auf autobiografischer Ebene erzählen die
Darsteller*innen von ihrer Kindheit im ehemaligen Jugoslawien, ihrer
Flucht nach Deutschland oder dem ersten eigenen abgefeuerten Schuss
mit einer Waffe. Währenddessen steht immer jeweils eine*r der
Darsteller*innen im Fokus und die anderen fungieren als Statisten um
die Szenen nachzustellen. Beim Zuschauen wechseln sich Freude und
Trauer, Leichtigkeit und Betroffenheit stetig ab, die Szenen werden
immer kürzer, schneller und lauter, bis sie sich mit der Erwähnung
des Friedensvertrages, der dem Bosnienkrieg ein Ende setzt, in Stille
und Schatten auflöst.
Nun
geht es auf eine gemeinsame Reise nach Bosnien, die die
Darsteller*innen an ihre Heimatorte und alte Kriegsschauplätze
führt. Es ist eine Reise mit drei Ebenen: eine politische Ebene, in
der irgendwie versucht wird, zu verstehen, was in dem Krieg passiert
ist und warum. Eine persönliche Ebene, in der Identitäten
hinterfragt und reflektiert werden. Und schließlich eine kollektive
Ebene, in der die Mitglieder der Reise versuchen, trotz der
verschiedenen Hintergründe zueinander zu finden und so einen
gemeinsamen Boden, einen Common Ground, zu finden.
Absolut mitreißend
So
entsteht zwischen Jasmina und Mateja eine tiefe Freundschaft, obwohl
einer der Väter Opfer im Konzentrationslager und der andere
Kriegsverbrecher war. Trotz der Unterschiede besteht doch eine
Verbindung zwischen
den beiden, denn beide wurden im Krieg vaterlos. Eine Verbindung
entsteht auch zwischen Aleksandar und der von Vernesa dargestellten
Bakira Hasečić, der Gründerin der “Association of Women Victims
of War”. Diese Organisation (hier kommt wieder die Realität ins
Spiel) setzt sich für die tausenden von Frauen ein, die während des
Balkankrieges vergewaltigt worden sind. Aleksandar, der das Gefühl
hat, als Serbe irgendwie dafür verantwortlich gemacht zu werden,
kann Bakira am Ende nur eins sagen. Dass es ihm leid tut.
Zwar
könnte ich noch Unmengen mehr über dieses tiefgründige,
scharfsinnge, humorvolle und berührende Stück sagen, aber das würde
den Rahmen hier sprengen. Es bleibt einfach festzuhalten, dass dieses
Spiel von Nähe und Distanz in der Inszenierung auf politischer,
persönlicher und kollektiver Ebene absolut mitreißend ist und die
Geschichten so authentisch wie ergreifend sind. Jedoch nie mit Pathos
und immer mit einer Prise Humor. Wie das wirklich zusammen passt,
weiß ich selbst nicht, Fakt ist, dass es das in dieser Produktion
aber tut. Und Fakt ist auch, dass ich noch nie so von einem Thema
berührt wurde, von dem ich vor dem Theaterbesuch noch überhaupt
keine Ahnung hatte. Grandios!
Text: Jessica Müller
Foto: Gorki-Theater
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