Theatertreffen der Jugend - Frankfurt Babel


Der Turmbau zu Babel ist eine allgemein bekannte Geschichte der Bibel. Eine Gruppe von Menschen, die “einerlei Zunge und Sprache” haben, wollen einen Turm errichten, der bis in den Himmel reicht, um sich so “einen Namen zu machen” und so der Angst in “alle Welt zerstreut” zu werden, entgegenzuwirken. Es geht also um eine vereinte Gruppe, die an dieser Vereinigung festhalten will, um sich nicht zu verlieren. 
Das Junge Schauspiel Frankfurt erarbeitete ein Stück über den Turmbau zu Babel einmal komplett andersherum: junge Geflüchtete, deutschstämmige Jugendliche und junge Menschen mit Migrationshintergrund, die zusammen über 20 Sprachen sprechen, wollen sich begegnen, verständigen und ein gemeinsames Projekt realisieren - “Frankfurt Babel”.

Reflexionspassagen und musikalische Elemente

Diese Hintergründe zur Stückentstehung sind nicht nur dem Programm des Theatertreffens der Jugend zu entnehmen, sondern werden am Anfang des Stückes auch von einer der Darsteller*innen erläutert. Hier wird bereits deutlich, dass eine Meta-Ebene im Stück vorhanden ist, in der über das Projekt selbst reflektiert wird. Diese Reflexionspassagen sind Elemente, die sich durch das komplette Stück ziehen, immer mal wieder wird erzählt, wie das Projekt entstand, wie es sich entwickelt hat und was damit erreicht werden soll.
Ebenso wiederkehrend sind die musikalischen Szenen, in denen verschiedene Instrumente, darunter Zieharmonika, Schlagzeug, Pauke und Geige, zusammen gespielt werden, jedoch in verschiedener Lautstärke, verschiedenem Tempo und verschiedenen Tönen, sodass eher eine disharmonische Klangatmosphäre entsteht.

 Das Publikum applaudierte

Ein weiteres Element, dass immer wieder auftritt sind die Zitate aus der biblischen Babel-Geschichte. Hier stehen alle Darsteller*innen vor dem Publikum, gestikulieren und sprechen mit leiser Stimme, während immer eine/r von ihnen den Rest übertönt und das Zitat auf einer bestimmten Sprache laut vorträgt. Anschließend denkt der/diejenige wieder seine/ihre Stimme, reiht sich in das Klangbild der übrigen Darsteller*innen mit ein und der oder die nächste erhebt die Stimme auf einer bestimmten Sprache. Somit entsteht also, trotz der Individualisierung des Textes durch das permanente leise Murmeln der Schauspieler*innen in je eigener Sprache und Tempo, ein Gesamtbild, eine gemeinsame Betrachtung des Bibelverses.
Eine gemeinsame Aktion der Darstellung betrifft zudem das Bühnenbild. Der Boden war mit dunklen Platten belegt, auf die die Schauspieler*innen mit Kreide mit Ländernamen beschriftete Kreise aneinanderfügten und so eine Art Weltkarte kreierten. Auf dieser Weltkarte bewegten sie sich von ihren Lieblingsplätzen zu Orten, an denen sie auf keinen Fall sein wollten und hinterfragten Grenzen. An dieser Stelle trat der Schauspieler Marlon Mohrmann hervor und hielt eine kurze Ansprache, weshalb Grenzen für ihn von Menschen geschaffene Konstrukte seien. Das Publikum applaudierte ihm für solch weltoffene und solidarische Gedanken.



Im Laufe des Stückes lernt man die Darsteller*innen mehr und mehr kennen. Man erfährt, wo sie herkommen, was in diesen Ländern los ist, was dort und in Deutschland ihrer Meinung gut und schelcht läuft. Die Schauspieler*innen befragen sich gegenseitig nach ihren Gedanken zur sogenannten “Flüchtlingskrise”, lernen sich untereinander und die unterschiedlichen Kulturen näher kennen und stellen sich die Frage, was sie aus ihrem Leben machen möchten. Alle haben ungefähre Ideen, was sie sich für die Zukunft vorstellen könnten und alle haben eines gemeinsam: sie wollen das Beste aus ihrem Leben machen, wollen lernen, Träume verwirklichen und Chancen ergreifen. Sie wollen sich selbst besser kennen lernen und andere Menschen, die ihnen noch fremd sind. Ein gefüchteter Schauspieler, der aus jugendschutztechnischen Gründen seinen richtigen Namen nicht nennen durfte, meint, das Problem in Deutschland sei, dass hier viel zu viele Menschen einfach aufeinander treffen. Ihm gefällt die Vielfalt, aber er sieht Schwierigkeiten darin, dass die Menschen sich nicht verständigen. Begegnungen sind wichtig und Kommunikation ebenso. Nur so kann dieser kuturelle Reichtum auch sinnvoll genutzt werden.

Individualisierung zu Vergemeinschaftung

Eine sehr kraftvolle Szene entsteht, als die Schauspieler*innen, nachdem sie gegenseitig ihre Wünsche und Hoffnungen präsentiert haben und sich in eine Reihe aufgestellt haben, sich an den Händen fassen und einfach eine Weile so dastehen. Auch hier findet wieder eine Überleitung von Individualisierung zu Vergemeinschaftung statt.



Nachdem die Schauspieler*innen die mit Kreide bemalten Bodenplatten zum Teil mit weißer Farbe übergossen haben, nehmen auch sie selbst jeweils etwas von der Farbe in die Hand und klatschen sie sich ins Gesicht. Sie stellen sich frontal zum Publikum und wiederholen den Text eines Schauspielers über Macht und Kontrolle im Chor, bis sie schließlich die Bodenplatten gemeinsam wegräumen und dabei, weiterhin als den Text einer Schauspielerin wiederholender Chor, eine Passage des Bibelverses über den Turmbau zu Babel immer wieder wiederholten.

Mensch sein auf dieser Erde

Durch kleinere Unsicherheiten der Schauspieler*innen auf der Bühne hinsichtlich mancher Abläufe und der mangelnden fließenden Übergänge zwischen Szenen wirkte das Stück leider zeitweise etwas ungeordnet. Dennoch ist das Projekt sowohl auf der Darstellungs- als auch auf der Meta-Ebene ein gelungener Diskursansatz, der zwar Potenzial nach oben hat, aber dennoch inhaltlich wichtige Punkte hervorhebt, die sich jeder Mensch, der in dieser Gesellschaft leben möchte, mal durch den Kopf gehen lassen sollte und sich fragen sollte, was es letztendlich heißt, Mensch zu sein auf dieser Erde.

Text: Jessica Müller
Foto: Birgit Hupfeld

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