Irrsinger Abend in Göttingen

Die Premiere von „Die lächerliche Finsternis“ unter der Regie von Marcus Lobbes erntete langen Beifall und arbeitete mit gängigen Klischees und Stigmata. Das Ensemble des Deutschen Theaters in Göttingen präsentierte eine verzerrte Wirklichkeit, die schockierend realitätsnah wirken konnte.


Nach einem Hörspieltext von Wolfram Lotz inszenierten die Schauspieler eine verdrehte Welt. Die Handlung in einen Rahmen drücken zu wollen, fällt schwer. Einerseits handelt es vom süffisant lächelnden Somalier Ultimo Michael Pussi (Frederik Schmid), der der Piraterie angeklagt ist. Auf der anderen Seite befinden sich Figuren wie Hauptfeldwebel Oliver Pellner ( Benedikt Kauff) mit Unteroffizier Stefan Dorsch (Gabriel von Berlepsch), die von ihrer Reise auf dem Hindukusch erzählen sowie Blauhelm Lodetti (Patrick Gees), der stolz vom Blauhelmlager berichtet, dass nur wegen einer Coltan-Quelle dort erbaut wurde. Die einzelnen Rollen sind in eine Podiumsdiskussion eingebunden und erzählen ihre verschiedene Geschichten. Die Moderation übernahm Maria Seiser, die auch in die Rolle des Autors Lotz schlüpfte.


Dabei verlieren sich die verschiedenen Charaktere in belanglosen Details ihrer Geschichte und kommen nicht richtig auf den Punkt. Es mutet einer Verschleierung von Tatsachen an, wenn Pussi über Hoffnung und einen sternenklaren Himmel in Mogadischu erzählt, obwohl er sich eigentlich des Überfalls auf ein Schiff rechtfertigen soll. Das Stück lebt von der Improvisation. Die Schauspieler bewegen sich auf feinem Grat zwischen Realität und Fantasiewelt. Spätestens, wenn sich die Schauspieler mit richtigem Namen ansprechen und im nächsten Satz wieder mit dem Namen ihrer Rolle, ist die Geschichte komplett verschwommen. 

Noch irrsinniger wird es, wenn Patrick Gees in seiner Rolle als Bojan Stojkovic behauptet, dass der Erwerb einer Markise zum Tod seiner Familie geführt habe und nicht die Präszisionsbombe, die neben seinem Haus eingeschlagen sei. „Es ist eine Präszisionbombe, die sollte unser Haus nicht treffen. Die Markise hat Feuer gefangen. Ohne Markise wäre das nicht passiert“, so Stejkovic. Verdrehte Tatsachen und perfider bis makaberer Humor des Hauptfeldwebels Pellner machen den Abend amüsant, aber gleichzeitig muss sich der Frage gestellt werden: Wie viel ist dran an der Verschleierung? Es wirkt wie eine moderne Medienkritik und die Podiumsdiskussion könnte auch einer Politshow entstammen. Am Ende der Diskussion ist nichts geklärt, es bilden sich mehr Fragen als vorher, aber irgendwie schaffen es die Schauspieler Denkanstöße über unseren Zeitgeist zu geben.


Text: Vincent Lubbe
Foto: Frank Stefan Kimmel

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