Ohnmacht der menschlichen Kommunikation - DENIAL




Wir Menschen sind verdammt gut im Verdrängen. Geldsorgen, die eigenen Gefühle, die politische Situation oder einfach Verantwortungen und Pflichten. Jeder hat doch Momente, in denen man sich sagt, das sei egal, das werde schon wieder oder man könne ja nichts dagegen tun. Oder doch? Kann man? Muss man etwas gegen diese tägliche Ignoranz gegenüber praktisch allem tun? Haben wir die Pflicht, immer und ständig die Augen aktiv offen zu halten und alles an uns heran zu lassen? 


Vorstellung vom 26. Mai 2017 am Maxim Gorki Theater
Rezension von Jessica Müller


Wahrscheinlich eher nicht, denn würden wir tatsächlich allem erlauben, uns nahe zu gehen, würden wir irgendwann von innen heraus implodieren. Yael Ronens Stück „DENIAL“ im Maxim Gorki Theater zeigt jedoch auf, wie wichtig es ist, hin und wieder mal innezuhalten und eben doch aktiv auf die Dinge zu schauen, die man sonst so wunderbar ausblenden kann.


-„Nein, das kann ich mir nicht vorstellen“-


Die Inszenierung beginnt mit einer Projektion, die sich mit Leitsätzen zur Verdrängung beschäftigen. „Das ist nie passiert“, ist zu lesen, „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen“ oder „Das wäre mir doch aufgefallen.“ Schon hier schießen mir Überlegungen in den Kopf, wie tief Verdrängung tatsächlich in uns eindringen kann, sodass wir Dinge, die wir uns selbst einreden, beziehungsweise die uns eingeredet werden, irgendwann einfach glauben. Vollkommen davon überzeugt sind. Diese Komplexität des Verdrängungsmechanismus wird noch öfter im Stück aufgenommen und mir wird bewusst, wie subjektiv Realitätswahrnehmung sein kann. Im gleichen Atemzug erkenne ich auch, wie wichtig sowohl Distanz als auch Nähe zu einer Problematik sind und dass nicht alles eine einfache und allgemeingültige Lösung hat. Das sind natürlich Schlüsse, die mir nicht unbekannt waren, doch wenn Theater einen diese Dinge tatsächlich fühlen und bewusst werden lässt, dann wurde definitiv etwas richtig gemacht.





Das Stück ist, wie so oft bei Yael Ronen, autobiographisch. Es wurden zwar Elemente hinzugefügt, manche weggelassen, einige verändert, doch die Basis bilden die Biographien der Schauspieler*innen. Es geht um Akzeptanz der eigenen Sexualität, aber auch um die Schwierigkeit, mit der Intoleranz der eigenen Familie hinsichtlich dessen umzugehen. Es geht um die eigenen Eltern, die man irgendwann nicht mehr nur blind als Vorbild ansieht, sondern anfängt, sie zu hinterfragen und erkennen muss, dass auch sie nur Menschen sind. Es geht um den Versuch, zu erkennen, dass man sich in Menschen täuschen kann, auch in Menschen, die einem nahe stehen. Es geht darum zu erkennen, dass man zum Opfer wurde, dass einem Unrecht angetan wurde und dass es nicht die eigene Schuld ist. Es geht darum, zu erkennen, dass es doch die eigene Schuld ist. Es geht um Lügen, Selbstzweifel, Vertrauen, Angst, Mut, Stärke und Schwäche. Eben um alles, was Verdrängung impliziert.


-Ohnmacht der menschlichen Kommunikation-


Vor allem aber geht es um die Macht, beziehungsweise Ohnmacht der menschlichen Kommunikation. Wie soll man jemand anderem mitteilen, was man selbst fühlt und denkt? Wenn es für mich selbst doch so einleuchtend und klar ist, warum versteht es mein Gegenüber nicht? Was muss ich tun, damit der*diejenige mich versteht? Oder muss ich selbst etwas an meinem Standpunkt ändern? Was in „DENIAL“ hierbei besonders gut gelungen ist, ist, die Komplexität der Kommunikation aufzuzeigen und nicht einfach nur alles schwarz-weiß zu kontrastieren. Richtig und falsch sind nicht immer glasklar und einleuchtend und auch wenn etwas falsch ist, so ist doch immer der Hintergrund dessen eine wichtige Komponente, um bestimmtes Verhalten zu verstehen. Auch hier wird noch einmal die Dualität von Nähe und Distanz hervorgehoben.





Yael Ronen und das Ensemble des Gorki Theaters haben mit „DENIAL“ ein mutiges Stück auf die Bühne gebracht, das weder übermäßig anklagend noch oberflächlich wirkt, sondern eher zu tieferen Überlegungen und weitergehenden Fragen anregt. Es ist ihnen gelungen aufzuzeigen, wie weitreichend Verdrängung in unser aller Leben und auf allen möglichen Ebenen verankert ist und hinterfragt die Notwendigkeit und die Auswirkungen dessen. Auch wenn mir das Stück wirklich gut gefallen hat, so hat mich das Ende leider ein wenig enttäuscht. Hier wird kritisiert, dass wir nicht nur negative Dinge verdrängen, sondern auch verlernt haben, die positiven Dinge des Lebens wertzuschätzen. An sich eine schöne und wichtige Botschaft, doch das alles in die letzten paar Minuten der Vorstellung zu quetschen und im letzten Moment zu sagen: „Oh, stimmt, jetzt kann ich die Schönheit des Lebens auf einmal doch sehen“, ist mir persönlich zu gezwungen und pathetisch. Diese Facette hätte dramaturgisch eindeutig besser ins gesamte Stück mit eingeflochten werden können. Dennoch ist „DENIAL“ eine mehr als gelungene Arbeit.

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