Situation mit Zuschauern - Oliver Zahn (Hauptaktion)
Wann geht es denn los?
Ach, es geht schon los? Klar, es wird ja bereits ein Video abgespielt auf der
Projektionswand der Bühne. Aber warum geht denn die Beleuchtung des Publikums
nicht aus?
Ganz einfach – in
“Situation mit Zuschauern” von Oliver Zahn und dessen Kollektiv HAUPTAKTION
geht es nämlich um genau das: das Publikum. Wie politisch ist der Blick der
Zuschauenden? Wie handeln sie ethisch korrekt? Und wie kann man in so einer
Situation überhaupt sagen, was ethisch korrekt ist?
-Das Versperren des Blickes-
Die Vorstellung beginnt
wie gesagt mit der Projektion eines Videos. Ein YouTube-Video. Zu sehen ist
Barack Obama, wie er an einem Rednerpult steht und dem US-amerikanischen Volk
etwas über militärische Einsätze im Nahen Osten erzählt. Doch noch bevor ich
ganz verstanden habe, worum es geht, werden im Vordergrund der Bühne drei mit
einer Wüstenlandschaft bedruckte Stoffbahnen heruntergefahren und versperren
den Blick auf des Video. Dann fängt dieser Vorhang an zu sprechen. Also
natürlich nur symbolisch. Sätze werden darauf präsentiert und der Vorhang
erklärt seine Funktion. Das Versperren des Blickes. Klingt einleuchtend.
Und dann bekomme ich
Gänsehaut. Der Vorhang erzählt nun, worum es in dem Video hinter ihm geht. Es
handelt sich hierbei um ein Propagandavideo der islamistischen Terrorgruppe
Daesch, auch bekannt als sogenannter „Islamischer Staat“. Ein Enthauptungsvideo
eines US-amerikanischen Journalistin, um genau zu sein. Allein jetzt malt sich
meine Fantasie schon in den dunkelsten Farben aus, was in dem Video passieren
könnte. An dieser Stelle erfährt man auch die Spielregeln. Bevor der Vorhang
sich öffnet, müssen sich die Zuschauer*innen entscheiden, ob sie das Video
sehen oder vorher den Raum verlassen wollen. Meine Entscheidung habe ich
bereits in dieser Sekunde getroffen. Dennoch ist das Stück hier noch nicht
vorbei.
-bleibe ich oder gehe ich?-
Eine Schauspielerin tritt
auf die Bühne und in einer Art Lecture Performance erzählt sie in allen
Details, was in dem Daesch-Video zu sehen sein wird. Unterbrochen wird dies
durch eine zweite Lecture Performance einer Schauspielerin, die im Publikum
sitzt und von verschiedenen Situationen erzählt, sowohl im öffentlichen als
auch im Theaterraum, in denen schreckliche Szenen gezeigt oder eben gerade
nicht gezeigt wurden. So zum Beispiel öffentliche Hinrichtungen, Theaterstücke
oder die Aufführung der Passionsspiele. Am Ende dieser Performance muss sich
der*die Zuschauer*in also entscheiden – bleibe ich oder gehe ich?
In dem Moment, als ich
den Raum verlassen habe, schossen mir tausend Fragen durch den Kopf. Wird das
Video tatsächlich gezeigt? Und wenn ja, ist es wirklich genau so, wie es beschrieben
wurde? Warum wollen sich diejenigen, die sitzen geblieben sind, das Video
anschauen? Findet man es immer noch zur freien Verfügung im Netz? (Dazu muss
ich sagen, dass ich gerade kurz versucht habe, es zu googlen, aber gleichzeitig
sogar Angst hatte, dass der BND meine Internetaktivitäten überwachen und mich
vielleicht irgendwann mit islamistischem Terror in Verbindung bringen könnte
und es deswegen lieber gelassen habe. Paranoid oder begründete Bedenken?)
Warum schauen sich
Menschen solche Videos an? Es gibt viele Gründe hierfür. Voyeurismus ist einer
davon. Die Neugier, etwas Unbekanntes zu sehen, was man sich selbst schon
vorgestellt hat. Vielleicht ist es aber auch der Wille, der Realität ins
Gesicht zu blicken. Diese Dinge passieren und vielleicht ist es ja sogar gerade
schlimmer, wenn wir wegschauen, anstatt es direkt anzusehen. Vielleicht müssen
manche Menschen es ja auch sehen, um es erst glauben zu können.
Auf der anderen Seite
besteht immer die Gefahr der Abstumpfung. Was teilweise in internationalen
Medien als „Fotojournalismus“ bezeichnet wird, würde hier in Deutschland
wirken, als käme es direkt aus einem Splattermovie. Und das Fatale daran ist
meiner Meinung nach nicht einmal, diese Bilder zu sehen, sondern sie irgendwann
für normal zu halten.
-moralische Pflichten des Publikums-
Der einzige Kritikpunkt,
den ich jedoch an dem Stück habe, ist, dass es teilweise recht wertend wirkt.
Bevor sich der Vorhang hebt wird noch einmal betont, wie schrecklich dieses
Video ist und dass es nur Terror und Propaganda ist. Es fehlte praktisch nur
noch der anklagende Ausruf: „Also wieso zur Hölle, wollt ihr euch das denn
angucken?!“ Ich denke, bei einem Stück, dass die ethische Entscheidung und die
Möglichkeiten und moralischen Pflichten des Publikums erforschen will, darf
hier auf keinen Fall in irgendeiner Weise wertend gehandelt werden. Denn sonst
hätten sie ja gleich ein „Das-ist-gut-und-das-ist-schlecht“-Stück machen
können, in dem sie mit dem Finger auf alle zeigen, die nicht so denken.
-in den Köpfen des Publikums-
Auch wenn das Stück nur
45 Minuten ging und auf der Bühne gar nicht mal so wahnsinnig viel passierte,
hat sich der Besuch dennoch gelohnt, weil die eigentliche Essenz des Stückes
eben woanders passierte – in den Köpfen des Publikums. Es war spannend zu
sehen, wie praktisch jede*r, der*die aus dem Saal kam, irgendeine Reaktion
zeigte. Entweder nur in der Mimik und Körpersprache oder sie konnten gar nicht
an sich halten und fingen an zu plappern, zu schimpfen oder zu flüstern.
Demnach ist „Situation mit Zuschauern“ eben genau das, wie es auch im Titel heißt:
eine Situation nicht nur mit, sondern auch in den Zuschauenden.
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