Unter der Erde - Über das spanische Plastikmeer



Paco Bezerra bringt mit „Unter der Erde“ sein zweites Theaterstück nach Göttingen und feierte mit der Inszenierung von Antje Thoms am Deutschen Theater Göttingen europäische Erstaufführung. Bezerra, der selbst im Publikum saß, ist 2009 mit dem spanischen Nationalpreis für Dramatik ausgezeichnet worden und lebt in Madrid und berichtet nun in seinem Stück von der gesundheitsschädlichen Arbeit als Plantagearbeiter in Spanien.
In El Ejido, -einer spanischen Stadt im autonomen Andalusien, verdient sich die Bevölkerung ihr Geld mit dem Anbau von Gemüse auf einer Fläche von etwa 36.000 Hektar. Die Fläche ist von Plastikbahnen überzogen und wird gemeinhin als „Plastikmeer“ bezeichnet.
„Aus dem Weltraum sehen die Astronauten nicht etwa große Gebäude, sondern eine riesige Straße aus Gewächshäusern“ , erzählt der junge Indalecio, gespielt von Anton von Lucke, dem Publikum. Indalecio, der jüngste Sohn in seiner Familie, wird von seinem Bruder José Antonio (Emre Aksizoglu) und seinem patriarchalischen Vater (Florian Eppinger) belächelt und unterdrückt. Der Vater ist Großgrundbesitzer und ist darauf erpicht, dass seine Söhne der Familientradition folgen und ihm im Gemüseanbau helfen. Die Familie ist von Schicksalsschlägen gezeichnet. Die Mutter ist gestorben, der älteste Bruder Ángel leidet an einer Hautkrankheit und der Vater siecht an einer Atemwegserkrankung dahin. Indalecio weiß, dass die Pestizide, die im Gemüseanbau eingesetzt werden, mit den Krankheiten zusammenhängen. 




Das will aber keiner hören, deshalb flüchtet Indalecio sich in seine selbstgeschrieben Geschichten, die während des Stückes lebendig und von den Darstellern in Szene gesetzt werden. Dabei wird Indalecios großer Held „Rambo“ mit dem Beamer auf die sonst herumwehenden Planen des Gewächshauses projiziert und man sieht dessen Gesicht, während sich Indalecio durch heranstürmende Angreifer kämpft. Das Bühnenbild von Beni Küngt ist sehr gelungen. Atmosphärisch wirkt es als sitze man selbst in einem Gewächshaus oder draußen auf den Planen. Durch das Licht wird einem warm, durch wehende Planen erlebt man einen Sturm und durch an die Planen projizierte Regentropfen steht man im Regen. In dieser düsteren Konstellation kommt Indalecio einem Geheimnis auf die Schliche und erkennt, dass sein Vater und Bruder Antonio nicht nur Gemüse in den Gewächshäusern anbauen. „Unter der Erde“ ist wie ein Thriller. 




Man wird mitgenommen durch eine intrigante Familiengeschichte, bei der niemandem zu trauen ist.Während des Stückes will man unbedingt wissen, was wohl hinter der ganzen Vertuschung um die Gewächshäuser steht und was wirklich ans Licht kommen wird. Durch die eingespielten Soundeffekte wirkt das Bühnenbild inklusive Handlung plastisch und nahbar. Mit jedem eingespielten Donnergrollen und den dazu an die Planen projizierten Regentropfen ist man gefühlt mittendrin. Angeregt von Indalecios Geschichte, bleibt die eigene Recherche um den Einsatz von Pestiziden auf Plantagen in El Ejido nicht aus. Paco Bezerra schafft es, dass man mit einigen Fragen nach Hause geht, die eine Auseinandersetzung mit jenem wichtigen Thema erfordern. Florian Eppinger als Vater und Emre Aksizoglu als Bruder verbünden sich gegen Indalecio und spielen ihre Rolle glaubhaft. Man fühlt mit Indalecio mit und würde ihm am liebsten selbst gegen seine Familienmitglieder beistehen. Benjamin Kempf spielt als Ángel die gute Seele neben Indalecio und stärkt ihn, wo er kann. Elisabeth Hoppe bringt durch ihren Einsatz in gleich mehreren Rollen viel Dynamik ins Schauspiel und bringt beispielsweise in ihrer Rolle als Scharlatanin und vermeintliche Hexerin sogar Lacher in die eigentlich düstere Handlung. Fazit: Ein packendes Stück, dass nicht mit dem Applaus beendet wird, sondern zu Hause bei der Recherche erst richtig beginnt.

Deutsches Theater: http://www.dt-goettingen.de/stueck/unter-der-erde/ 
BLICK: http://www.die-wochenblaetter.de/goettingen/lokales/buehne-wird-zum-plastikmeer-d8128.html
Fotos: Isabel Winarsch

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