Doppelplusgute Premiere von -1984- in Göttingen
"Aber es war ebenfalls klar, dass ein allgemein wachsender Wohlstand die Fortdauer einer hierarchischen Gesellschaft bedrohte, ja, in gewissem Sinn ihren Untergang bedeutete. Wurde Wohlstand erst einmal Allgemeingut, würde er keinen Rang mehr verleihen. Man konnte sich durchaus eine Gesellschaft vorstellen, in der Wohlstand, im Sinne von persönlichem Besitz und Luxus, gleichmäßig verteilt war, während die Macht in den Händen einer kleinen priviligierten Kaste blieb. Doch in der Praxis konnte eine solche Gesellschaft nicht lange stabil bleiben."
Seine Umgebung vergessen - in eine andere Welt abtauchen - vom großen Bruder gesehen werden.
Am Deutschen Theater Göttingen ging es mit der Inszenierung von George Orwells "1984" unter der Regie von Antje Thoms in eine düstere Zukunftsvision. Der Zuschauer wird hier direkt in das Szenario der Totalüberwachung hineingeworfen. Das Theaterensemble wird über Kopfhörer auf die Ohren des Publikums gespielt. Die Inszenierung wirkt dadurch teilweise unangenehm nah. Es gibt kein Entkommen und es scheint, man sei selbst ein Teil des Ganzen. Durch einen persönlichen Guide wird das Publikum von Kulisse zu Kulisse geleitet. Nie mit einer Gruppe zusammen, sondern vereinzelt. Das Schwierigste am Stück: Loslassen. Keiner geht mit seinem Partner in diese Vorstellung. Anfangs wird strikt getrennt. Jeder sammelt seine Erfahrungen selbst.
In Orwells Zukunft regiert die Innere Partei über Ozeanien. An dessen Spitze steht ein lückenloses Überwachungssystem - der große Bruder. Roman Majewski übernimmt die Rolle des Winston und will sich mit Julia (Felicitas Madl) der Bruderschaft und somit der Rebellion anschließen. Winston glaubt nicht an den "monströsen Propaganda-Apparat" und weigert sich die Wahrheiten des großen Bruders anzunehmen. In seinem Tagebuch hält er seine Gedanken fest. Normalerweise würde die Denkpolizei dies nicht erlauben. Durch einen toten Winkel in seinem Haus, kann er seine Gedanken aber niederschreiben. Neusprech ist in Mode und Doppeldenk regiert die Welt.
Fakten wie (2+2=4) werden hier angezweifelt und die Geschichte wird im Sinne der Regierung Ozeaniens neugeschrieben und dem Volk indoktriniert. Winston will sich O'Brien, einem Mitglied er Inneren Partei mit Kontakten zur Bruderschaft, anschließen.
Ein Tag in Orwells 1984. Direkt. Nahbar. Zu nah?
Jan Huttanus sitzt als "Denkverbrecher" blutend in einer Zelle. In der Zelle gibt es zwei Stühle für Zuschauer. Über Kameras wird den Zuschauern, die gerade woanders in Orwells Dystopie unterwegs sind, das Bild übertragen. Der Denkverbrecher hustet Blut und ist schwach. Der Zuschauer sitzt direkt an ihm dran und kann ihm nicht helfen aufs nahe Bett zu kommen. Hilflosigkeit macht sich breit. Der, der eine andere Meinung hat, wird bestraft.
In der Kantine bejubeln die Bewohner Ozeaniens das "Neusprech". Durch Abschaffung und Umwandlung von Substantiven, Verben oder Adjektiven, wird das Sprechen viel einfacher. Und sollte die Regierung mal wieder einen Krieg gewonnen haben, wird die Schokoladenration erhöht. So einfach lässt sich ein Volk regieren.
Donald Trump wurde zum Präsidenten gewählt. Kurz danach kam Orwells "1984" wieder in die Beststellerliste. Alternative Fakten und auch Neusprech macht sich wieder breit. Nur wenn die Bevölkerung von ihren Bildschirmen aufschaut, ist es bemerkbar. Durch die Kopfhörer und die Kulisse in einer Tiefgarage wirkte das Setting sehr nah. Und weit weg von der Realität ist Orwell nie. Heute wirkt das Szenario wieder sehr realistisch. Als Denkanstoß kann sich der Zuschauer eine einfache Frage, nach dem englischen Philosophen John Stuart Mill, stellen: Will ich lieber ein unzufriedener Sokrates oder ein zufriedener Narr sein. Ein unzufriedener Mensch oder ein zufriedenes Schwein?
Sie Entscheiden!
Text: Vincent Lubbe
Fotos: Thomas M. Jauk
Roman Majewski, Felicitas Madl |
Seine Umgebung vergessen - in eine andere Welt abtauchen - vom großen Bruder gesehen werden.
Am Deutschen Theater Göttingen ging es mit der Inszenierung von George Orwells "1984" unter der Regie von Antje Thoms in eine düstere Zukunftsvision. Der Zuschauer wird hier direkt in das Szenario der Totalüberwachung hineingeworfen. Das Theaterensemble wird über Kopfhörer auf die Ohren des Publikums gespielt. Die Inszenierung wirkt dadurch teilweise unangenehm nah. Es gibt kein Entkommen und es scheint, man sei selbst ein Teil des Ganzen. Durch einen persönlichen Guide wird das Publikum von Kulisse zu Kulisse geleitet. Nie mit einer Gruppe zusammen, sondern vereinzelt. Das Schwierigste am Stück: Loslassen. Keiner geht mit seinem Partner in diese Vorstellung. Anfangs wird strikt getrennt. Jeder sammelt seine Erfahrungen selbst.
Roman Majewski |
Fakten wie (2+2=4) werden hier angezweifelt und die Geschichte wird im Sinne der Regierung Ozeaniens neugeschrieben und dem Volk indoktriniert. Winston will sich O'Brien, einem Mitglied er Inneren Partei mit Kontakten zur Bruderschaft, anschließen.
Roman Majewski, Dario Gödecke, Paul Wenning, Felicitas Madl |
Ein Tag in Orwells 1984. Direkt. Nahbar. Zu nah?
Jan Huttanus sitzt als "Denkverbrecher" blutend in einer Zelle. In der Zelle gibt es zwei Stühle für Zuschauer. Über Kameras wird den Zuschauern, die gerade woanders in Orwells Dystopie unterwegs sind, das Bild übertragen. Der Denkverbrecher hustet Blut und ist schwach. Der Zuschauer sitzt direkt an ihm dran und kann ihm nicht helfen aufs nahe Bett zu kommen. Hilflosigkeit macht sich breit. Der, der eine andere Meinung hat, wird bestraft.
In der Kantine bejubeln die Bewohner Ozeaniens das "Neusprech". Durch Abschaffung und Umwandlung von Substantiven, Verben oder Adjektiven, wird das Sprechen viel einfacher. Und sollte die Regierung mal wieder einen Krieg gewonnen haben, wird die Schokoladenration erhöht. So einfach lässt sich ein Volk regieren.
Roman Majewski, Marco Matthes, Nikolaus Kühn |
Donald Trump wurde zum Präsidenten gewählt. Kurz danach kam Orwells "1984" wieder in die Beststellerliste. Alternative Fakten und auch Neusprech macht sich wieder breit. Nur wenn die Bevölkerung von ihren Bildschirmen aufschaut, ist es bemerkbar. Durch die Kopfhörer und die Kulisse in einer Tiefgarage wirkte das Setting sehr nah. Und weit weg von der Realität ist Orwell nie. Heute wirkt das Szenario wieder sehr realistisch. Als Denkanstoß kann sich der Zuschauer eine einfache Frage, nach dem englischen Philosophen John Stuart Mill, stellen: Will ich lieber ein unzufriedener Sokrates oder ein zufriedener Narr sein. Ein unzufriedener Mensch oder ein zufriedenes Schwein?
Sie Entscheiden!
Text: Vincent Lubbe
Fotos: Thomas M. Jauk